Samstag, 5. Mai 2007

Gracq II

La forme d'une ville

„Eine Stadt bewohnen heißt, durch sein tägliches Kommen und Gehen ein Netz aus Wegen darin zu spinnen, die gewöhnlich um einige richtungsweisende Achsen angesiedelt sind. Sieht man von den Gängen ab, die mit dem Arbeitsrhythmus zusammenhängen, vom Hin und Her zwischen Peripherie und Zentrum, Zentrum und Peripherie, so liegt es auf der Hand, daß der gewundene Ariadnefaden, den der wahre Städter gedanklich hinter sich entrollt, die Gestalt eines wirren Knäuels annimmt. Ein engmaschiges Geflecht von Wegen und Rückwegen legt sich über einen ganzen Komplex zentral gelegener Straßen und Plätze; Wanderungen über das Zentrum hinaus, Abstecher außerhalb dieses gewöhnlich frequentierten Gebiets sind relativ selten. Der Faltplan einer Stadt, den wir heranziehen, deckt sich nie mit dem geistigen Bild, das der Klang ihres Namens in uns weckt, mit der Ablagerung, die unsere täglichen Streifzüge im Gedächtnis hinterließen.“

[Julien Gracq: Die Form einer Stadt, Graz/ Wien 1989, S. 2f.]